Freitag, 6. Oktober 2017
Report #47 (?) - Kontrolle
Ich komme gerade aus meiner Stammkneipe. Es war ein mehr oder weniger erfolgreicher Abend. Wir waren gestern schon dort. Ich kenne die Leute dort mittlerweile recht gut. Wenn ich der Letzte bin, bekomme ich beim letzten Bier nachgezapft. Auch sonst wird mir für ein großes Bier meist ein Kleines aufgeschrieben. Ich geb recht viel Trinkgeld, muss ich zugeben und der Chef ist selten da.

Ich war gestern schon dort, doch heute war es anders. Die "Ersties" - Erstsemester-Studenten tummeln sich in den Studentenkneipen. Ganz Ehrlich? Ich denke, sie wissen nicht was sie erwartet.

Ich bin ein sehr offener Mensch. Ich habe kein Problem damit, Leute anzusprechen. Warum auch? Wenn jemand beißt, dann ich. Und ich sitze immer an der Theke. Alleine in einer Bar oder Kneipe sitzen ist nur halb so armselig, wenn du den hinter dem Tresen kennst, auch wenn es aufgrund deiner Stammkundschaft ist.

Lena, die hübsche Blonde hat aufgehört, keinen Studienplatz bekommen in der Stadt, sagt mir mein Kumpel hinter der Bar. Ich trauere ihr kurz nach. Sie war nett und wie gesagt sehr hübsch. Bin morgen deshalb schon Vormittag da, kommst du vorbei?, fragt er mich weiter. Ich überleg's mir, sage ich. Wäre der dritte Tag in Folge. Mittags habe ich mich allerdings mehr im Griff. Wird wenn nur ein schnelles, wir haben noch nicht über Katalonien gesprochen sage ich, als Grund, falls ich wirklich morgen Mittag dort auftauchen sollte. Ich weiß es wirklich nicht.

Ich kam mit einem etwas sonderlich wirkenden Typen ins Gespräch. Drittes Semester, selber Studiengang wie ich. 10 Credits nach zwei Semester. 60 wären normal - werden erwartet. Ich hatte 51, gebe ich offen zu.
Ich bin zu faul und ich hatte persönlich viel Terror, erzählt er mir. Aber ich bin mir sicher, dass es besser wird, jetzt habe ich endlich Druck, sonst streichen mir meine Eltern das Geld für die Wohnung und Lebensunterhalt, spricht er weiter. Ich höre zu, nicke und sage nichts, außer, dass das Studium ja nicht unbedingt für jeden etwas sein muss. Ich glaube, er nimmt es mir übel, aber ich bin nicht gut drauf und mir ist es egal. Ich werde ihn eh wohl nie wieder sehen. Ich muss darüber nachdenken, wass mich straucheln ließ: ein Todesfall in der engen Familie und eine Tablettensucht mit kaltem Entzug. Ausreden? Vielleicht.

Dann treffe ich zwei Erstsemesterer. Junges Frischfleisch. Das Studium kann einen fertig machen, aber vorallem, verändert es einen. Behaupte ich. Ich bin nicht mehr der, der ich anfangs war. Man wächst. Ich sage ihnen davon nichts, aber ich gebe ihnen Tipps. Geheimtipps, aber auch offensichtliches. Sie saugen es auf, sind motiviert und freundlich. In drei Jahren an der Uni und nicht nur als Student, sondern auch in der Lehre, nimmt man einiges mit an Tipps und Tricks. Ich denke, es tat ihnen gut, etwas von einem "alten Hasen" zu hören. Ich wünsche euch nur das Beste, haltet durch., sage und meine ich, als ich sie am Döner vor der Bushaltestelle absetze und endgültig heimlaufe.

Pardon, aber Scheiße, ich muss mein Leben besser in den Griff bekommen. So kann es nicht weiter gehen, denke ich mir, kann es so weiter gehen? Verdammt, es muss besser werden. Verdammt, es muss besser werden. Ich beginne, an meiner Zuversicht zu zweifeln. Nichts wird gut. Nichts. Ich bin ein Versager. Was habe ich erreicht? Nichts. Nichts von Wert. Ach, Leck mich Welt, denke ich. Ich hab genug. Keine Lust an Kontrolle, ich will etwas anderes, eigenes, intensives.

Ich sitze am Schreibtisch und die Leere überfällt mich. Ach, Einsamkeit, komm herein! zitiere ich mich dekadent selbst. Es ist gut, verdammt, rede ich mir ein. Es ist gut, keine Zweifel. Mein Bestes? Vielleicht. Ach, Einsamkeit. Ich habe so genug. Ich weiß nicht, wie es weiter geht. Wie es weiter gehen wird. Es ist ein Gefühl, der Verschwendung. Ein beklemmendes Gefühl. Ein verdammtes Gefühl.

Ich sitze am Schreibtisch und trinke Wasser. Viel Wasser. Keine Lust auf Kater morgen. Es kann nur besser werden. Irgendwann bin ich glücklich, denke ich mir. Und wenn es nur diese kurzen, grundlos euphorischen Hochmomente sind für die ich lebe. Alles wird gut, vorher gebe ich nicht auf. Irgendwann ist alles so wie es sein soll, vorher gebe ich nicht auf. Ich greife weiter nach der Kontrolle, keine Angst.
Keine Angst.

Was auch immer, aber ganz viel ungewollte Liebe,
ein wassertrinkender und grundehrlicher

Kas

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